Nach vier Jahren geht eine der bedeutendsten Forschungsinitiativen zur Energiewende in Deutschland zu Ende. Als eines der fünf „Schaufenster intelligente Energie“ (Sinteg) hat Designetz Lösungen und Strategien zur Integration erneuerbarer Energien in das Versorgungsnetz der Zukunft hervorgebracht. Sie dienen bundesweit und darüber hinaus als Blaupause und können helfen, die 2015 in Paris beschlossenen Ziele zur Senkung des CO2-Ausstoßes auch zu erreichen. Dass die Energiewende technisch machbar ist, hat Designetz Saarland belegt und wie sie tatsächlich gelingen kann, heute auf seinem virtuellen Abschluss-Event präsentiert. Vor Branchenvertretern, Politprominenz und Fachpublikum an den Monitoren.
Die Dekarbonisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung bringen hierzulande drastische Veränderungen für die Energiewirtschaft mit sich. Im Jahr 2022 geht das letzte Atomkraftwerk vom Netz, 2038 das letzte deutsche Kohlekraftwerk. Ferner sagen Experten einen Anstieg des Bruttostromverbrauchs – verursacht etwa durch E-Mobilität und die Digitalisierung – um mehr als ein Viertel bis 2030 voraus. Die entstehende Versorgungslücke muss mit Hilfe regenerativer Energiequellen kompensiert werden.
Insofern stellt die Energiewende sämtliche Akteure der Energiewirtschaft vor immense Herausforderungen, die in puncto Komplexität ihresgleichen suchen und nur gemeinsam zu stemmen sind. Tobias Hans, Ministerpräsident des Saarlandes, der sich per Video-Botschaft in den Abschluss-Event einbrachte, dankte den Partnern für ihr Engagement und würdigte ihre besondere Leistung: „Verteilnetzen für Strom kommt eine immer größere Bedeutung zu, wenn es darum geht, unsere digitalisierte, technologisierte Welt auch dauerhaft und gut mit Strom zu versorgen.“
„Die Energiewende ist eine umfassende Gemeinschaftsaufgabe, die eine entsprechend ganzheitliche Lösung erfordert“, betonte die saarländische Ministerin für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr Anke Rehlinger, in der Podiumsdiskussion „Energiewirtschaft und Politik“. „Nur durch die Bündelung von Wissen und den Zusammenschluss vorhandener Technik schaffen wir es, sie erfolgreich voranzutreiben. Designetz beweist, dass Partner unterschiedlichster Bereiche – sei es Industrie, Energiewirtschaft, Politik, Kommunen oder Forschung und Entwicklung - gemeinsam und produktiv an Lösungen für die Energie der Zukunft arbeiten können. Ich freue mich, dass wir als Saarland einen Teil dazu beitragen können.“
Situation der Verteilnetze
Volatiler grüner Strom aus dezentralen Photovoltaik- und Windkraftanlagen macht aktuell bereits einen Anteil von über 42 Prozent aus. Bis 2030 soll dieser auf 65 Prozent gesteigert werden. Dafür sind unsere Verteilnetze jedoch nicht ausgelegt. Deshalb müssen in Zukunft flexiblere, intelligente Stromnetze in der Lage sein, möglichst viel grünen Strom aufzunehmen und zu transportieren. Strom sollte, um Transportverluste zu vermeiden, nach Möglichkeit da verbraucht werden, wo er erzeugt wird. Die Versorgungssicherheit muss weiterhin gewährleistet sein und der „klassische Netzausbau in Aluminium und Kupfer“ auf ein Minimum reduziert werden. Das funktioniert in Zukunft nur mit mehr Intelligenz in den Netzen. Das heißt, mit intelligenten Messsystemen, moderner Kommunikation für den schnellen Transfer großer Datenraten sowie einem höheren Automatisierungsgrad und intelligenter Steuerung. Hierzu braucht es vor allem im Nieder- und Mittelspannungsbereich deutlich mehr Transparenz in den Verteilnetzen, was Netzzustände und -vorgänge angeht.
Das Forschungsprojekt
Gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat Designetz unter Federführung von innogy/E.ON eine funktionierende Blaupause für das „Energiesystem der Zukunft“ erarbeitet. Die Energiewirtschaft hat sich bei dieser Mission für externe Partner geöffnet und im Gegenzug Unterstützung von Unternehmen, Instituten und Organisationen erhalten, die jeweils auf ihrem Gebiet exzellent sind. Intelligente Messsysteme beispielsweise in Verbindung mit moderner IKT bringen deutlich mehr Transparenz in die Niederspannungsnetze, die lange Zeit als Blackbox galten.
„Designetz ist ein Leuchtturm der neuen Energiewelt. Gemeinsam mit Spitzenkräften aus Wissenschaft und Wirtschaft ist es gelungen, eine Bedienungsanleitung für die Energieversorgung der Zukunft zu entwickeln“, erklärte Dr. Gabriël Clemens, Mitglied des Vorstandes der VSE Aktiengesellschaft, sichtlich zufrieden mit den erzielten Ergebnissen. „Auf dieser Basis wollen wir nun weiterarbeiten. Ich danke allen Partnerinnen und Partnern für ihr Engagement in den vergangenen vier Jahren und bin zuversichtlich, dass wir die heutigen und kommenden Herausforderungen der Energiewende gemeinsam meistern werden.“
DFKI CEO Prof. Dr. Antonio Krüger sagte: „Das DFKI hat frühzeitig praktische Erfahrung im Bereich Energieinformatik aufgebaut. Insbesondere bei KI-Prognoseverfahren für Photovoltaik-Erzeugung und die Vorhersage des Lastgangs in Privathaushalten oder auf Ortsnetztransformator-Ebene. In Zusammenarbeit mit den Partnern liefern wir in Designetz eine sichere Daten- und Diensteplattform und die essenziellen Bausteine eines Betriebssystems zur Integration der Erneuerbaren Energien. KI hilft hier, Verbrauch und Erzeugung in Einklang zu bringen, und trägt damit zur Netzstabilität bei.“
Bei Designetz haben insgesamt 46 Partner aus den Bereichen Wissenschaft und Forschung sowie Energiewirtschaft, Industrie und IKT zahlreiche Einzellösungen zu einem praxistauglichen Gesamtsystem zusammengefasst. Das „Schaufenster“ erstreckte sich mit den Bundesländern Nordrhein-Westfahlen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland über eine ideale Modellregion. Sein besonderer Mix aus dünn besiedelten Landstrichen, Metropolen und Industriezentren gilt als charakteristisch für ganz Deutschland.
Designetz Saarland
Bei der Gesamtbetrachtung nimmt Designetz Saarland unter Leitung der VSE AG, die den Konsortialführer innogy/E.ON an der Saar vertritt, eine Mittelstellung ein. Hier gibt es Windenergie, wenngleich nicht so stark wie in Schleswig-Holstein, und es gibt Photovoltaik, jedoch nicht so ausgeprägt wie etwa in Bayern. Zudem hat das Saarland eher ländlich geprägte Regionen und gleichzeitig mit der Stahl- und Automobilindustrie repräsentative Lastzentren zu bieten.
Theorie trifft Praxis
Eine Besonderheit der Forschungsinitiative ist die enge Verzahnung von Theorie und Praxis. So sieht ihr Konzept Arbeitspakete vor, in denen Partner an theoretischen Ergebnissen arbeiten, und sogenannte Demonstratoren. Darin unterziehen sich die „frisch“ entwickelten Lösungen direkt einem Praxistest, dessen Resultate wiederum zeitnah zur weiteren Optimierung in die Arbeitspakete zurückfließen. Innerhalb des Demonstrationsprojekts war das Saarland mit vier Teilprojekten beteiligt:
- In dem Netz-Projekt „EMIL“ (Energienetze mit innovativen Lösungen) haben die VSE, energis Netzgesellschaft und Stadtwerke Saarlouis sowie Voltaris, die Hager Group, das DFKI und die htw saar gemeinsam mit überregionalen Partnern innovative Technologien zur Netzführung entwickelt und erprobt.
- Die Steag GmbH hat in Fenne den „Elektroden-Kessel“ installiert, der Strom in speicherbare Wärme umwandelt. Durch Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Grubengas bringt der E-Kessel signifikant mehr Flexibilität ins Netz.
- Am „Fernwärmespeicher Dillingen“ hat Steag untersucht, wie miteinander verbundene Netze unterschiedlicher Sektoren bei einem wachsenden Anteil an erneuerbaren Energien stabil und wirtschaftlich betrieben werden können.
- In dem Teilprojekt „Monitoring für Flexibilitäten“ wurde mit der Daten- und Diensteplattform das entscheidende Software-System als Bindeglied zwischen Energieerzeugung und Verbrauch entwickelt. Das August-Wilhelm Scheer Institut (AWSi), das DFKI, IS Predict, die htw saar sowie die Universität des Saarlandes ermöglichen durch ihre Arbeit und die Abstimmung mit überregionalen Partnern ein einheitliches, offenes und sicheres Datenmanagement, das die einzelnen Akteure effizient und datenschutzkonform vernetzt.
Politik in der Pflicht
Den Partnern von Designetz Saarland ist es gelungen, eine funktionierende Blaupause für die Energiewende zu entwickeln und aufzuzeigen, welche konkreten Maßnahmen hierzu erforderlich sind. Errungenschaften, die nach Überzeugung aller Beteiligten unbedingt weiterverfolgt werden müssen – etwa in Folgeprojekten auch über die Laufzeit von Designetz hinaus. Die Mehrzahl sieht nun den Ball in den Reihen der Politik. Letztere war – und das ist ein Novum – von Beginn an mit im Boot und eng in alle Prozesse eingebunden. Als fester Bestandteil des Projekts hat der Politische Beirat erstmals Ergebnisse und Handlungsempfehlungen begleitet und kommentiert. Er brachte einerseits aktuelle Projektergebnisse in die Parlamente und Regierungen und hielt auf der anderen Seite die Projektpartner permanent über die Erwartungen der Politik auf dem Laufenden.
Die Politik soll nun konkret für die passenden Rahmenbedingungen sorgen, die allen Akteuren faire Bedingungen und Planungssicherheit bei der Umsetzung ihrer Ergebnisse bieten. Dabei ging es u. a. auch um regulatorische Fragestellungen, um eine mögliche neue Netzentgelte-Systematik durch Nutzung von Flexibilität und um wirtschaftliche Anreizmodelle für den Verteilnetzbetreiber. Ferner kamen Themen wie eine faire Verzinsung des eingesetzten Kapitals zur Sprache. Diskutiert wurde auch, wie künftig „mehr Offenheit“ bei Genehmigungsbehörden wie der BNetzA erreicht werden kann. Vornehmliches Ziel ist, in Zukunft auch neue, moderne Komponenten, sprich Intelligenz zu fairen Konditionen in den Netzbetrieb einbauen zu können.
Neue fachliche Qualifikationen erforderlich
Analog zu den Veränderungen in der Energiewirtschaft kann auch der Netzbetrieb in der Form, wie er in der Vergangenheit war, nicht mehr ewig so weitergeführt werden. Das hat Designetz Saarland deutlich hervorgebracht. Neue Disziplinen wie Intelligenz, Sicherheit und Kommunikation, die im Projekt eine tragende Rolle gespielt haben, werden sich über kurz oder lang auch im Berufsbild der Branche widerspiegeln. Das heißt, dass an die Stelle des klassischen Ingenieurs in absehbarer Zeit ein „Ingenieur mit Zusatzausbildung“ treten wird. Denn es gibt neue Anforderungen, die zusätzliche spezifische Qualifikationen erfordern. Hier sollte der Bedarf aus der Energiewirtschaft formuliert werden. Die Wissenschaft muss insofern reagieren, als die Ausbildung des Nachwuchses an den Hochschulen angepasst und die Lehrpläne mittelfristig um Spezialthemen wie moderne Informationsverarbeitung erweitert werden.
Akzeptanz in der Bevölkerung
Die Energiewende kann nur gemeinsam gelingen. Diese Aussage schließt ausdrücklich alle Bürgerinnen und Bürger als elementare Akteure der Energiewende, als „Prosumer“ mit ein. Sie müssen die neuen Technologien verstehen und annehmen. Bei Designetz Saarland wurde diese Überzeugung gelebt und bereits in der Konzeptphase des Projekts in Form von verschiedenen Einrichtungen implementiert. Und die Bestrebungen, breite Teile der Bevölkerung mitzunehmen, in die Forschungsinitiative einzubinden, sind vielfältig. Sie reichen von einer Designetz-App über öffentlich zugängliche Demonstratoren, Stelen und „Haltestellen“ auf einer „Route der Energie“ bis hin zu Akzeptanzforschung, Bürgerbefragungen und einem eigenen Kommunikationskonzept. Überall können sich Interessierte nach Belieben umfassend über den Stand der Technik informieren.
Dass die Energiewende ein langwieriges Gemeinschaftsprojekt ist, vielleicht das wichtigste dieser Generation, weiß wohl niemand besser als der Astrophysiker und Naturphilosoph Prof. Harald Lesch. In seiner Keynote, die zum Abschluss-Event ebenfalls per Video-Clip eingespielt wurde, unterstrich er eindringlich die Bedeutung dieses Projekts für die Zukunft: „Wenn wir uns die Symptome der globalen Erwärmung anschauen, wird es umso klarer, wie wichtig Ihre Arbeit ist“, hob der Wissenschaftler die Leistung der saarländischen Partner hervor. „Wir müssen so schnell wie möglich das entsprechende Netz zur Verfügung stellen, dass die erneuerbaren Energien möglichst dezentral eingespeist und gespeichert werden können.“ Der Appell des ZDF-Wissenschaftsexperten richtete sich auch an die Politik. „Ich hoffe, dass möglichst viele Politikerinnen und Politiker aus den Ergebnissen lernen, die Sie hervorgebracht haben. Dabei dürfen wir bei aller Innovationskraft und allen technischen Möglichkeiten einer reichen Industrienation auch die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger nicht aus den Augen verlieren. Denn am Ende, wenn alle technischen Parameter optimiert und ausgereizt sind, werden wir nicht umhinkommen, gemeinsam Energie zu sparen.“
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