Eine Drohne fliegt über einen Fluss in Südostasien, der nur aus der Vogelperspektive wie ein intaktes Ökosystem erscheint. Das mit speziellen Kameras ausgestattete Fluggerät sucht nach Plastikmüll. Und wird schnell fündig – im Wasser treiben unzählige Überreste der modernen Zivilisation. Die Drohne dokumentiert den Standort und identifiziert gleichzeitig die unterschiedlichen Plastikteile.
Digitalisierte Meeresforschung
Kernstück der Müllerfassung ist ein neuartiger Algorithmus, der am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), Forschungsbereich Marine Perception, in Kooperation mit dem Zentrum für Marine Sensorik des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) an der Universität Oldenburg entwickelt wurde. Das System dient weltweit als Werkzeug, um die Spuren des Plastikmülls bis zu den Quellen sichtbar zu machen. „Dieses Werkzeug wollen wir Behörden, Bürgern und Organisationen für einen besseren Umweltschutz zur Verfügung stellen“, sagt Professor Oliver Zielinski, Leiter des DFKI-Forschungsbereichs sowie des ICBM-Forschungszentrums.
Erste Pilotprojekte im Auftrag der Weltbank in Kambodscha, Vietnam und auf den Philippinen liefen erfolgreich. Die gewonnenen Daten ermöglichen einen gezielten Einsatz von Müllsammelschiffen und zudem eine Ermittlung der Müllverursacher. Aktuelle Arbeiten umfassen vermüllte Staudämme in Serbien und Bosnien-Herzegowina sowie Auswirkungen der Hochwasserkatastrophe in Deutschland. Zielinski forscht seit zehn Jahren am ICBM an innovativen Sensoren und Messsystemen. Die Arbeitsgruppe des Physikers mit gut 25 Mitarbeitenden hat sich auf verschiedene Aspekte der digitalisierten Meeresforschung spezialisiert. Vor einigen Jahren erweiterte Zielinski seine Entwicklungsarbeit um Methoden der Künstlichen Intelligenz. Die Basis hierfür bildet das DFKI, wo er auch das Kompetenzzentrum KI für Umwelt und Nachhaltigkeit (DFKI4planet) leitet.
Schnellere und präzisere Klimavorhersagen
Ziel des Forschers ist die Verknüpfung von klassischen Methoden der Meeresforschung mit Technologien der künstlichen Intelligenz. Diese Verbindung ist aus seiner Sicht notwendig, um den wissenschaftlichen Herausforderungen durch den globalen Klimawandel und die zunehmende Umweltverschmutzung zu begegnen. „Die Zusammenhänge sind zu komplex, um sie mit herkömmlichen Analysen erklären zu können“, sagt Zielinski.
„Meeresforschung 4.0“ nennt Zielinski diese Entwicklung, von der nach seiner Überzeugung vor allem Politik und Gesellschaft stark profitieren werden. Künftig könnten Forscherinnen und Forscher mithilfe innovativer Systeme noch schneller präzise Klimaprognosen und Ozeanvorhersagen liefern. „Wir gewinnen Unmengen an Daten, die wir jedoch stärker verzahnen müssen“, so der Forscher.
Ein gutes Beispiel für dieses neue Zeitalter der Meeresforschung ist das globale Netzwerk autonomer Tauchbojen. Mehr als 30 Länder beteiligen sich am Programm Argo, bis zu 4000 Drifter sind bereits auf den Ozeanen unterwegs. Sie messen Druck, Leitfähigkeit und Temperatur des Meerwassers. Aus ihren Positionen werden zudem Strömungsmodelle und Änderungen im System Ozean errechnet.
Unterwasserdrohnen mit bio-optischen Sensoren
Mittlerweile entwickeln Forscherteams weltweit eine neue Generation dieser Tauchbojen, auch hier ist die ICBM-Arbeitsgruppe entscheidend beteiligt. So werden Argo-Floats im Rahmen des vom Bundesforschungsministeriums geförderten Projekts DArgo2025 mit speziellen bio-optischen Sensoren ausgestattet, mit denen unter anderem spektrale Veränderungen des Unterwasserlichtfelds im Ozean gemessen werden können.
Andere Sensoren wiederum sind in der Lage, biogeochemische Daten zu erfassen – darunter den Anteil von Sauerstoff, Kohlenstoff oder Nährstoffen im Ozean. Die Weiterentwicklung dieser Messverfahren wird vom Bundesforschungsministerium ebenfalls seit Jahren intensiv gefördert. Die verbesserten BGC-Floats sollen dann das Rückgrat eines künftigen weltumspannenden Ozeanbeobachtungsnetzwerks bilden.
Für eine globale Ozeanbeobachtung müssen die bestehenden Messsysteme noch stärker verknüpft werden. So messen auch Satelliten verschiedene Parameter der Meeresoberfläche – als beispielhaft gilt hierfür das europäische Sentinel-Programm. Die gebündelten Daten aus den Weltmeeren sind zudem Voraussetzung für die Klimaforschung der Zukunft – etwa den geplanten Digital Twin Ocean.
KI macht verborgene Erkenntnisse sichtbar
In der zweiten Hälfte der dieses Jahr gestarteten UN-Ozeandekade könnte der digitale Ozeanzwilling bereits Gestalt annehmen. Für die Forscher wäre das die Möglichkeit, Klimamodelle zu testen und die künftige Entwicklung der Weltmeere mit weitaus größerer Genauigkeit als heute zu prognostizieren. „Wir könnten sozusagen ein künftiges Lagebild des Ozeans erschaffen und gezielt Antworten erhalten, die relevant sind für die Handlungsoptionen unserer Gesellschaft“, sagt Zielinski.
Dennoch wird die moderne Flotte der deutschen Forschungsschiffe zentrale Plattform der Meeresforschung bleiben, ist sich Zielinski sicher. Durch KI-Systeme lassen sich Expeditionen jedoch besser planen und lenken. „Vom Schiff aus können wir die Tiefen und komplexen Prozesse im Ozean mit allen Mitteln der modernen Forschung untersuchen. Autonome Plattformen erweitern unseren Blick in Raum und Zeit. Und die künstliche Intelligenz wird uns dabei helfen, bislang verborgene Erkenntnisse sichtbar und nutzbar zu machen“, fasst der Forscher zusammen.
Dieser Beitrag ist zuerst auf der Website der Bundesregierung erschienen.