Eröffnet wurde die Diskussion von Prof. Wolfgang Wahlster, CEA des DFKI und einer der drei Väter von Industrie 4.0, der das Konzept im Jahr 2010 entwickelte und 2011 das erste Papier über die vierte industrielle Revolution mitverfasste. Prof. Wahlster skizzierte die Aufgaben, denen sich die europäische Industrie und Gesellschaft im letzten Jahrzehnt stellen musste. Diese Herausforderungen wie der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, späterer Renteneintritt in einer alternden Gesellschaft oder sehr volatile Märkte mit kurzen Produktlebenszyklen, die multiadaptive Fabriken erfordern, waren gleichzeitig sozioökonomische Triebkräfte für Industrie 4.0 und industrielle KI. Es besteht ein Bedarf an einer zunehmenden Produktvariabilität, die zu einer Massenindividualisierung mit Fabriken mit geringen Stückzahlen und hohem Mischungsverhältnis führt, bei gleichzeitiger Erfordernis einer ressourceneffizienten, grünen Kreislaufwirtschaft.
"Nicht nur Deep Learning, sondern auch Deep Understanding wird für die nächste Dekade der Industrie 4.0 von Bedeutung sein, da wir eine langfristige Autonomie der Maschinen in intelligenten Fabriken anstreben", betonte Prof. Wolfgang Wahlster und erinnerte daran, dass das Vertrauen in Industrie 4.0-Methoden erst in der letzten Dekade bei den Fabrikbetreibern aufgebaut werden konnte, da datengetriebenes maschinelles Lernen mit symbolischen Modellen kombiniert wurde, die sowohl physikalische Randbedingungen als auch Kontext-, Aufgaben- oder Prozessmodelle erfassen. Deep Learning reicht für die nächste Generation von Industrie 4.0-Systemen nicht aus - es werden hybride KI-Systeme benötigt. KI-Technologien sind ein Schlüsselfaktor für den Erfolg von Industrie 4.0, da maschinelles Lernen die Sensorinterpretation für vorausschauende Wartung und Online-Qualitätskontrolle aufbricht.
Prof. Wahlster teilte seine Vision von der Nutzung von KI in der Robotik, die die physische Unterstützung menschlicher Werkerinnen und Werker durch Cobots ermöglichen wird, begleitet von der kognitiven Unterstützung durch Softbots als virtuelle Charaktere. Die moderne Technologie soll die Arbeitenden mit unterstützenden und intelligenten Werkzeugen ausstatten und ihre Flexibilität erhöhen, anstatt sie im Fertigungsprozess zu ersetzen. Neben anderen Zielen für die nächste Stufe der Industrie 4.0 sprach Prof. Wahlster auch über die Null-Fehler-Produktion auf der Grundlage einer inkrementellen Echtzeit-Qualitätsüberwachung, die bei großen Produktionsunternehmen bereits ganz oben auf der Agenda stehe. Null-Fehler-Produktion bedeutet, dass es keine Fehlhandlungen von Werkern oder Robotern gibt, die unerkannt bleiben. Das gilt für alle Varianten der Interaktion von Menschen untereinander, Menschen und Robotern oder Robotern untereinander. Durch Plan-, Interaktions- oder Absichtserkennung entdeckt das System Fehler sofort mithilfe von KI zur Echtzeitinterpretation relevanter Sensordaten. Das neue Konzept sieht vor, viele kleine Qualitätsmanagementschleifen im Produktionsprozess zu nutzen, sodass in jedem Produktionsschritt mögliche Fehlereffekte an Ort und Stelle korrigiert werden können. "Industrie 4.0 bringt viele Teildisziplinen der KI in einem der wichtigsten Bereiche der europäischen Industrieländer zusammen", beendete Prof. Wahlster seinen inspirierenden Vortrag.
Prof. Vladimír Mařík, wissenschaftlicher Direktor des tschechischen Instituts für Informatik, Robotik und Kybernetik der Tschechischen Technischen Universität Prag (CIIRC CTU) und Mitstreiter von Prof. Wahlster, sprach am Nachmittag über den Aufbau des KI-Ökosystems im nationalen und europäischen Kontext und über spezifische Aspekte der zweiten Phase von Industrie 4.0. Aus wissenschaftlicher Sicht sind die Selbstlernfähigkeit und die Anpassungsfähigkeit von Trainingsdaten für maschinelle Lernsysteme langfristig wichtig. Die jüngsten Weiterentwicklungen des Konzepts prozessorientierter digitaler Zwillinge ermöglichen eine zuverlässige Vorhersage und Simulation des Verhaltens von Werkzeugmaschinen im Bearbeitungsprozess. Da die Industrie immer komplexere Lösungen benötigt, befinden wir uns in der Phase der Optimierung und des maschinellen Lernens hin zu SELF-X-Funktionalitäten der Künstlichen Intelligenz: Selbstlernende, selbstanpassende oder selbstentwickelnde KI. Insgesamt benötigt die zweite Phase von Industrie 4.0 globale flexible, selbstlernende technische Lösungen, die das Verständnis, die Steuerung und das Management sehr komplexer Fertigungssysteme und ihrer Umgebungen ermöglichen. In gewisser Weise sollten diese KI-basierten Systeme verstehen, was sie tun, und auf sehr intelligente Weise das verwalten, was ihre eigene Entwicklung aus früheren Erfahrungen gelernt hat. „Es wird erwartet, dass Wissensstrukturen und -modelle die dominierende Rolle spielen werden“, so Prof. Mařík. „Es ist auch notwendig, die Kluft zwischen dem akademischen Forschungsumfeld und dem industriellen Bedarf durch eine spezialisierte KI-Systemintegrationsindustrie zu überbrücken, die geeignete Rechen- und Datenspeichereinrichtungen nutzt."
Neue hochspezialisierte KI-Unternehmen können dedizierte physische Rechenressourcen und Datenspeichereinrichtungen nutzen. Um neue industrielle Lösungen zu entwickeln und angemessene Rechen- und Datenressourcen aufzubauen, müssen durchgeführte Anwendungsfälle, gesammelte Industriedaten und KI-Algorithmen in einem gemeinsamen Datenraum gespeichert und auf innovative und kreative Weise genutzt werden. Zugleich sind Standardisierung und Interoperabilität ein absolutes Muss.
Daher sollten alle Hauptakteure und Fachinitiativen gemeinsam an der Schaffung eines gemeinsamen physischen Co-Working-Datenraums arbeiten, um eine höhere Wiederverwendbarkeit von Daten auf der Grundlage von Regeln und Standards zu erreichen. Andererseits sind die derzeitigen Ökosysteme der KI-Forschung für den Know-how-Transfer und die Umsetzung in der Industrie nicht ausreichend. Die Anforderungen an Datenverarbeitung und -speicherung für die Sicherung, Wiederverwendung und Integration komplexer KI-Lösungen steigen rapide an.
In 14 thematischen Breakout-Sessions diskutierten die 77 Teilnehmer aus 20 Ländern, darunter 41 aus Lehre und Forschung sowie 33 aus der Industrie, grundlegende Inhalte wie "Vertrauenswürdige KI in der Fertigung" und "Föderales Lernen“ oder übergreifende Themen wie "Mensch-Roboter- und Mensch-Maschine-Interaktion in Fertigungsprozessen", "Optimierung" und "KI in der Produktentwicklung" sowie spezifischere Gegenstände wie "Nachrüstung von KI" oder "Intelligente Fertigung für Raumfahrtanwendungen". In kleineren Gruppen ermittelten die Teilnehmenden Schlüsselelemente, Herausforderungen und Empfehlungen für künftige strategische Entwicklungen zu den einzelnen Themenbereichen. Trotz der relativ großen Anzahl von Breakout-Sessions bleiben noch unbeackerte Themen für zukünftige TDWs.
Leitung und Moderation des Workshops lagen bei Dr. André Meyer-Vitali, Senior Researcher am DFKI, und Dr. Tilman Becker, RICAIP-Director, CIIRC CTU in Prag. VISION, der Koordinierungs- und Unterstützungs-Hub für die ICT-48-Netzwerke, und die europäische KI-Initiative CLAIRE AISBL unter der Leitung des Netzwerks der Forschungsexzellenzzentren TAILOR, organisierten die Veranstaltung. Das Organisationskomitee, das sich aus akademischen und industriellen Vertretern der einzelnen Partner zusammensetzt, hat ein interessantes Programm mit inspirierenden Hauptvorträgen und anschließenden Breakout-Sessions zu aktuellen Themen der Fertigung zusammengestellt.
Die TDW stellt eine offene Plattform dar, um verschiedene Bereiche zusammenzubringen, die mit künstlicher Intelligenz ausgestattet werden können - oder es bereits sind. Ziel ist es, die Inputs für die europäische KI-Roadmap zu definieren, die die Europäische Kommission bei der Bewältigung langfristiger strategischer Fragen unterstützen wird. Die wichtigsten Ergebnisse von TDW werden auf den Projektwebseiten zusammengefasst und veröffentlicht, um einen umfassenden Überblick über die KI-Fähigkeiten und Herausforderungen in Europa in bestimmten Bereichen und Sektoren zu geben.
Weitere Informationen und Kontakt:
Web: https://tailor-network.eu
E-mail: tailor_ict48-dfki@dfki.de