Im Trierer Ansatz der kognitiven Sozialsimulation wird an der Außenstelle Trier des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) mit KI-Methoden individuelles Verhalten auf der Basis von Kognition und komplexer Interaktion mit Hilfe von sozialen Mechanismen integriert, bspw. von Menschen oder Unternehmen. Im Kontext der COVID-19-Pandemie wurde im März 2020 das neue Simulationsmodell SoSAD-COVID-19 (Social Simulation for Analysis of Infectious Disease Control) entwickelt, welches auf Ergebnissen eines Influenza-Modells von 2013 basiert. Das SoSAD-Modell verfolgt einen agentenbasierten Simulationsansatz, welcher einzelne Individuen mit ihren Tagesabläufen in der Simulation repräsentiert und so die Wechselwirkungen der modellierten Verhaltensweisen und Abläufe analysierbar macht. Da die eigene Wahrnehmung von Symptomen, Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung und gegenseitige soziale Beeinflussung ausschlaggebend für diese Verhaltensweisen und damit für das Auftreten oder Ausbleiben infektionsrelevanter Kontakte zwischen Personen sind, gestattet der Simulationsansatz von SoSAD die Ermittlung der daraus entstehenden Reproduktionsrate der Pandemie auf regionaler Ebene.
Im Rahmen des Projekts EpideMSE am Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM) ist eine Simulationsplattform entstanden, die die tagesaktuellen COVID-19-Fallzahlen des RKI deutschlandweit auf Landkreisen aufgelöst abruft und anzeigt. Diese Daten können dann in verschiedenen algorithmischen Modulen weiterverwendet werden: Zum einen kann die Dunkelziffer auf Basis von statistischen Verzerrungen zwischen verschiedenen Ländern und Altersgruppen geschätzt werden. Das Kernstück bildet aber die Ausbreitungsprognose auf Basis eines verzögerten SEIR-Modells, das mit den historischen Messreihen kalibriert wird. Mit diesem Modell können dann z.B. die Auswirkungen lokaler Veränderungen der Reproduktionsrate simuliert werden.
Im Projekt SEEvacs wird die feinere, agentenbasierte Simulation der SoSAD-Komponente des DFKI mit der EpideMSE-Plattform verknüpft, um die Synergien beider Ansätze für die beispielhafte Untersuchung von Impfstrategien zu erschließen und zu nutzen. Im Fokus stehen die Auswirkungen verschiedener Impfstrategien. Da ein Impfstoffe zunächst nur in begrenzter Kapazität verfügbar sind, ist es aktuell eine wichtige Frage, wer den Impfstoff wann erhalten wird. Dabei wird sowohl die Schutzbedürftigkeit der älteren Bevölkerung berücksichtigt als auch die Schlüsselrolle als Verbreiter von jüngeren Menschen. Mit dem kombinierten SoSAD-EpideMSE-Modell ist es nun einerseits möglich konkrete Impfszenarien (z.B. 10% der verfügbaren Impfdosen gehen an Kinder, 30% an Erwachsenem 50% an Senioren) zu simulieren und miteinander zu vergleichen. Da die langfristige Simulation viele Unwägbarkeiten enthält, ist dabei der absolute Infektionsverlauf nicht so sehr entscheidend als vielmehr die relative Veränderung im Vergleich unterschiedlicher Szenarien und Strategien.