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KI im Denkmal: Osnabrücker DFKI-Forschende starten im Ringlokschuppen durch

Interview mit Prof. Dr. Joachim Hertzberg und Prof. Dr. Oliver Thomas

Das DFKI Niedersachsen ist der jüngste Standort des DFKI. Vor ein paar Wochen sind die Forschenden der beiden Osnabrücker Forschungsbereiche in einen Ringlokschuppen aus dem Jahr 1914 gezogen. Prof. Joachim Hertzberg und Prof. Oliver Thomas zeigen die neue knapp 2.800 m² große Arbeitsfläche und erklären ein knappes Jahr nach Start des Standortes, weshalb der Einzug ein Meilenstein ist, welchen Themen sie aktuell nachgehen und wieso KI im Regionalen so gut funktioniert.

Sie arbeiten seit Kurzem in einem restaurierten Denkmal. Elf Abschnitte, sogenannte Lokschuppen, hat das DFKI im gerade entstehenden Coppenrath INNOVATION CENTRE (CIC) angemietet. Wie kam es dazu?

Joachim Hertzberg: Die Coppenrath Stiftung hatte die Möglichkeit, das ehemals verfallene Gebäude im Osnabrücker Bahnhofsviertel zu erwerben und hat uns recht früh gefragt, was wir damit anfangen würden und ob wir Interesse hätten, daraus etwas zu machen. Wir haben damals beide recht spontan gesagt: Wow, cooles Gebäude, super Idee, das würde sehr gut zu uns passen.

Oliver Thomas: Das hatte auch mit unserem Wachstum zu tun. Erst waren wir mit unseren Uni-Gruppen noch in unterschiedlichen Gebäuden in der Stadt verteilt. Diese Räume waren anfangs so gut wie leer, aber nach einem Jahr haben sie dann schon nicht mehr gereicht. Uns wurde bewusst, dass das DFKI Niedersachsen keine Sache von fünf bis zehn Personen ist, sondern dass das Ganze größer wird. Jetzt sind wir hier gemeinsam an einem Ort mit um die 90 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen plus studentischen Hilfskräften und mit der klaren Tendenz, noch weiter zu wachsen.

Welche Leute arbeiten dort?

Joachim Hertzberg: In meinem Bereich „Planbasierte Robotersteuerung“ arbeiten vor allem Informatiker, Kognitionswissenschaftler und Physiker, aber auch Leute aus komplett anderen Fachrichtungen.

Oliver Thomas: Mein Team hat einen engen Bezug zur Wirtschaftsinformatik, zur Betriebswirtschaft und zum Wirtschaftsingenieurwesen. Im Grunde können wir über die Mitarbeiter eine ganze Wertschöpfungskette abbilden. Es gibt Leute, die sich in der Tiefe und im Kern mit KI-Technologien auskennen. Sie können die Technologien in Konzepte und Prototypen überführen und diese auch auf den Systemen von Unternehmen implementieren. Einige Unternehmen lassen sich gern technisch begleiten oder beraten bei Anwendungen, die sie schon im datenanalytischen Bereich haben, die mit KI angereichert werden können. Andere haben noch keinen Plan und fragen sich, wie eigentlich ihre KI-Agenda aussehen könnte in Verbindung mit einer Digitalstrategie. An jeder Stelle haben wir Experten.

Der Umzug erfolgte vor ein paar Wochen, was passiert jetzt in der nächsten Zeit?

Joachim Hertzberg: Wir werden uns jetzt erstmal fertig einrichten. Aktuell fehlen uns beispielsweise noch Sitzgelegenheiten und Besprechungsinseln. Die müssen teilweise extra angefertigt werden, damit wir die freien Flächen und das Potenzial des Gebäudes vernünftig bespielen können. Das ist ein ziemlich zeitaufwendiger Prozess, der vermutlich noch bis Ende dieses Jahres andauern wird. Natürlich arbeiten wir jetzt schon in unseren neuen Räumen, aber erst dann werden wir im Grunde so richtig drin sein. Einen Tag der offenen Tür soll es selbstverständlich auch geben.

Warum ist ein High-Tech-Institut wie das DFKI überhaupt in der doch für viele unbekannten Stadt Osnabrück angesiedelt?

Joachim Hertzberg: Von akademischer Seite her ist KI in Osnabrück schon seit langer Zeit tief verwurzelt. An der Universität Osnabrück, aber auch an der Hochschule gibt es KI als Lehr- und Forschungsthema schon lange. Das Institut für semantische Informationsverarbeitung an der Uni wurde 2001 gegründet. Ich bin dann 2004 für meine Professur „Wissensbasierte Systeme“ an die Uni gekommen. Damals hat niemand gemerkt, wie stark KI hier verortet ist, weil es keinen außerhalb der Uni interessiert hat. Für uns war bei der Gründung des DFKI in Niedersachsen ganz klar: Wenn man in Niedersachsen irgendwo einen KI-Standort einrichten möchte, dann ist Osnabrück ein ganz natürlicher Ort dafür, weil hier eine wissenschaftlich-technische Tradition besteht.

Viele wissen auch nichts von der starken mittelständischen Wirtschaft hier in der Region. Osnabrück ist im Bereich Landtechnik, Agrifood, Lebensmittelverarbeitung und Logistik eine prägende Größe, auch im bundesdeutschen Maßstab. Es reicht nicht, nur tolle Leuchttürme der KI-Forschung in Berlin, München oder Dresden zu installieren. Davon hat das Emsland nichts. Wir müssen mit den coolen neuen Ideen zu den Leuten hingehen, die sie brauchen, insbesondere zu den Firmen, die sie brauchen. Wir sind dort, wo es schon seit über 110 Jahren oder länger eine Industriestruktur gibt, nur machen wir etwas in komplett „renovierter“ Art und Weise — mit KI. Es geht um völlig andere Prozesse, um neue Strukturen, die entstehen, um andere Wege, wie man zu Produkten kommt, aber auch um eine andere Art der Grundlagenforschung.

Wir sind dort, wo es schon seit über 110 Jahren oder länger eine Industriestruktur gibt, nur machen wir etwas in komplett „renovierter“ Art und Weise — mit KI.

Prof. Dr. Joachim Hertzberg, Leiter Forschungsbereich Planbasierte Robotersteuerung

Oliver Thomas: Die Wirtschaftsinformatiker in meinem Bereich wollen wissen, wo den Unternehmen der Schuh drückt. Und diese Zielgruppe finden wir hier in Osnabrück, einer Top-Mittelstandregion in Deutschland. Im Osnabrücker Raum ist nicht nur der Handwerksbetrieb mit 25 Leuten angesiedelt, sondern vor allem die großen Mittelständler, die zwischen 100 Millionen und 2 Milliarden Euro Umsatz machen und die zum Teil auch noch inhabergeführt sind. Hier können wir den Transfer ideal realisieren. Im Übrigen auch über Spin-Offs, also Ausgründungen in den Branchen, an denen wir hier ganz nah dran sind. Das wird bei uns aktiv gelebt und stetig ausgebaut. Aus Joachims Bereich entsteht mit der Nature Robots GmbH gerade ein Unternehmen, das Roboter für einen neuartigen Gemüseanbau entwickelt. In der Strategion GmbH, die vor 12 Jahren aus meinem Team hervorgegangen ist, werden Unternehmen bei der Implementierung digitaler Technologien beraten. Auch die Didactic Innovations GmbH zählt zu einer meiner Ausgründungen. Sie unterstützt bei der didaktischen Transformation.

Joachim Hertzberg: Diese regionalen mittelständischen Firmen, mit denen wir häufig in Projekten arbeiten, haben übrigens auch einen langfristigen Blick und sie müssen nicht auf die kurzfristige Optimierung achten. Es gibt klare Linien, wen man ansprechen kann. Man redet häufig direkt mit dem Inhaber oder dem Leiter der Vorentwicklung und erfährt sehr klar, wo sie hinwollen, was sie tun wollen oder eben nicht tun wollen. Mit solchen Firmen ins Gespräch zu kommen, nehme ich als positiv wahr und das ist eine Stärke, die wir hier von der Wirtschaftsseite definitiv ausspielen können.

Das CIC ist schon allein durch das historische Gebäude verwoben mit der Region. Was sind Beispiele für regionale Kooperation in Ihren Forschungsbereichen?

Oliver Thomas: Bei uns ist es gerade eine wichtige Aufgabe, die richtigen Leistungspakete für Unternehmen zu schnüren und zu erklären, wie wir sie in ihrer KI-Transformation begleiten können. Dafür sind wir in mehreren Initiativen aktiv, die insbesondere auch den Mittelstand in und um Osnabrück adressieren. Im Green-AI Hub Mittelstand führen wir KI-Pilotprojekte in Unternehmen durch, in denen mit KI, Ressourcen effizienter genutzt und die Umwelt geschont werden sollen. Das machen wir im Auftrag des Bundesumweltministeriums.

Mit dem European Digital Innovation Hub CITAH stellen wir Angebote für die Unternehmen in der Region bereit, durch die eine erste niedrigschwellige Kontaktaufnahme mit KI möglich wird, zum Beispiel über Vernetzungsveranstaltungen oder prototypische „Test-before-Invest“-Anwendungen. Die Unternehmen und Hidden Champions hier sind global aufgestellt, sie kennen ihre Produkte genau und wissen alles über Zölle und Internationalisierung. Ein KI-Einsatz, der nachweisbar sinnvoll und möglich wäre, findet aktuell allerdings kaum statt. Es fehlt noch ein konkretes Verständnis davon, was KI für die eigene Wertschöpfung bedeuten kann. Die Potenziale für die Zusammenarbeit sind riesig. Unsere Aktivitäten passen irgendwie auch ganz gut zu unserem neuen Ort. Und da schließt sich der Kreis. KI tritt kaum allein auf, sondern in Kombination mit anderen Technologien. Wie damals bei der Tiefkühltorte von Coppenrath, als die Komponenten Haltbarkeit und Logistik deren Geschäftserfolg geprägt haben, wollen wir heute im CIC Technologiebündel mit KI erschließen, die für Unternehmen wegweisend für ihre Geschäftsmodelle sind.

KI tritt kaum allein auf, sondern in Kombination mit anderen Technologien. Wie damals bei der Tiefkühltorte von Coppenrath, als die Komponenten Haltbarkeit und Logistik deren Geschäftserfolg geprägt haben, wollen wir heute im CIC Technologiebündel mit KI erschließen, die für Unternehmen wegweisend für ihre Geschäftsmodelle sind.

Prof. Dr. Oliver Thomas, Leiter Forschungsbereich Smart Enterprise Engineering

Wir kooperieren auch mit dem Museum Industriekultur (MIK) Osnabrück. In unserer Schauwerkstatt, einer ehemaligen Kohlenwäsche, machen wir mit Demonstratoren für die breite Öffentlichkeit unsere Forschung anschaulicher und zeigen, dass KI-Anwendungen Sinn machen und Mehrwert bieten. Angefangen haben wir mit einem roten Traktor Porsche Junior 108, an dem wir die Möglichkeiten von Augmented Reality und KI bei Reparaturen gezeigt haben. Aktuell geht es um Logistik. Besuchende erfahren, wie ein Paket zu den Kunden kommt. Früher wurden nur Güter transportiert, heute werden mit den Gütern auch Daten transportiert. Dieser Datentransport wird nicht nur organisiert, sondern mit KI-Verfahren auch optimiert. Um diese Veränderung zu erklären, wurde in die aktuelle Ausstellung des MIK auch ein Mitarbeiter des Osnabrücker Logistikdienstleisters Hellmann Worldwide Logistics eingebunden. Er berichtet, wie die Prozesse früher ausgesehen haben.

Herr Hertzberg, wie kooperiert Ihr Forschungsbereich in der Region?

Joachim Hertzberg: Ich bin mit dem Informatik-Thema „Planbasierte Robotersteuerung“ (PBR) ja stärker im Kern der KI-Forschung verortet. Weil wir seit Beginn an ganz klar Transferforschung machen wollten, war ich auch immer der Meinung, dass man als Informatiker etwas verstehen muss von dem Bereich, in den man transferieren will. Daher haben wir als PBR beschlossen, uns auf Agrifood bzw. Agrartechnik zu fokussieren und uns auf diese Branche einzulassen. Das hat sehr gut funktioniert hier im sogenannten Agrotech Valley. Mit Partnern arbeiten wir in verschiedenen Förderprojekten zusammen. Im Grunde gibt es da zwei Linien für den Einsatz für KI. An der Optimierung der Maschinensteuerung, beispielsweise zur Fahrerassistenz, ist die Branche sowieso schon längst dran. Die große und langfristige Herausforderung besteht darin, nicht nur die existierenden Maschinen zu verbessern, sondern auch über andere Prozesse nachzudenken, speziell im Pflanzenbau, die dann wiederum die Entwicklung anderer Maschinen, also letztlich Roboter, bedingen.

Haben Sie dafür auch spezielle Schauplätze? Das funktioniert ja nicht alles im CIC, oder?

Joachim Hertzberg: Klar, Pflanzenbau ist etwas, das auf dem Acker passieren muss. Wir sind auf mehreren landwirtschaftlichen Betrieben und Flächen um Osnabrück aktiv. Auf Gut Arenshorst hat das DFKI verschiedene Versuchsflächen auf einem ehemaligen Golfplatz. Dort erproben wir aktuell in dem von unserem Gärtnermeister angelegten Marktgarten autonome Roboter für einen neuartigen Gemüseanbau und das Monitoring von Raps. Auf einem Testfeld mit einem Schlitten, der mit Sensorik ausgestattet ist und sich über ein Schienensystem bewegt, werden KI-Algorithmen für die Umgebungswahrnehmung autonomer Landmaschinen unter Bedingungen wie Regen, Nebel und Staub getestet. Sicherheit ist ein wichtiges Thema gerade. Wie kann die funktionale Sicherheit von Maschinen, die KI-Komponenten haben, überhaupt zertifiziert oder zumindest validiert werden? Das ist noch völlig unklar, aber ein entscheidender Punkt für deren legalem Einsatz. In der neuen Initiative agrifoodTEF geht es auch darum, die technischen und räumlichen Möglichkeiten dafür zu schaffen und entsprechende Methodiken zu entwickeln. Zusammen mit der Hochschule Osnabrück und dem Agrotech Valley e.V. werden wir den deutschen Knoten für KI-basierte Agrartechnik im Ackerbau hier in Osnabrück aufbauen.

Kontakt

Jennifer Oberhofer
Communications & Media Niedersachsen

Tel.: +49 541 386050 7088