Auch wenn Roboter zukünftig über längere Zeit autonom arbeiten sollen, müssen sie natürlich die fachlichen und rechtlichen Regeln einhalten, die im Anwendungsgebiet gelten. In dem Projekt R4Agri entwickeln das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und das französische Institut national de recherche en informatique et en automatique (INRIA) Grundlagen für KI-basierte Empfehlungssysteme zur Entscheidungsunterstützung. Agrarrobotik ist das exemplarische Einsatzgebiet für diese Grundlagenforschung; Erkenntnisse daraus werden in parallel im DFKI laufende Transferprojekte zur Digitalisierung der Agrartechnik einfließen.
Agrarroboter auf dem Feld müssen in jedem Moment nicht nur auf der Basis von aktuellen Messdaten, sondern auch unter Berücksichtigung von Pflanzenbauwissen, Gesetzen, Verordnungen und Vorgaben des Landwirtschaftsbetriebs entscheiden, welche Aktion sie ausführen. Solche Entscheidungen automatisch einerseits aus schnell wechselnden, oft unvollständigen oder fehlerbehafteten Sensordaten und andererseits aus stabilem, lang vorhandenem, aber im Kontext interpretationsbedürftigem Wissen zu treffen, führt KI-Systeme an den Rand des heute technisch Möglichen.
R4Agri (Reasoning on Agricultural Data) betreibt Grundlagenforschung zu neuen Methoden, Algorithmen und Softwarearchitekturen. Damit sollen komplexe Abhängigkeiten berechnet, Schlüsse daraus gezogen und zur Umsetzung vorgeschlagen werden können. Das System greift dafür auf hochgradig verschiedene Arten von Daten wie Sensordaten aus den Landmaschinen, Satelliten- und Wetterdaten sowie Wissensquellen wie Pflanzendatenbanken zurück, wertet sie aus und setzt sie zueinander in Beziehung. Gesamtziel ist es, einen Rahmen für qualitative und logische Schlussfolgerungen über Wissen auf der Grundlage heterogener Daten zu schaffen. Inria ist mit dem Team GraphIK (Graphs for Inferences on Knowledge) unter der Leitung von Marie-Laure Mugnier, das DFKI mit den Forschungsbereichen Planbasierte Robotersteuerung und Smarte Daten und Wissensdienste beteiligt.
„Das besondere an R4Agri ist nicht nur die unmittelbare länderübergreifende Zusammenarbeit zweier Forschungseinrichtungen, sondern auch die für ein Projekt der Grundlagenforschung außergewöhnlich enge Kooperation mit den Anwendernetzwerken. Sie unterstützen uns bei der Spezifizierung der Einsatzszenarien und der Auswahl der erforderlichen Daten. Das beschleunigt die Transferstrecke von der Forschung über die Evaluierung bis zur Anwendung erheblich“, sagt DFKI-Projektleiter Prof. Dr. Joachim Hertzberg, Leiter des Forschungsbereichs Planbasierte Robotersteuerung.
Ob ein Landwirt einen Traktor steuert, ein Agrarproduzent eine optimierte Ausbringungskarte berechnet oder ein zukünftiger Agrarroboter ökonomisch und ökologisch nachhaltig autonom agieren soll – sie alle müssen sich an fachliche und rechtliche Regeln halten, die auch im Einklang mit der aktuellen Gesetzgebung in vielen europäischen Ländern und Regionen stehen. Diese Regeln in einem Entscheidungshilfesystem oder einer autonomen Robotersteuerung erklärbar und nachweisbar umzusetzen, ist beim heutigen Stand der Technik eine große Herausforderung. Die Unterscheidung zwischen schädlichen und harmlosen Unkräutern, die zur Förderung der Pflanzenvielfalt geschont werden sollen, übersteigt die heutigen technologischen Möglichkeiten. Weder können autonome Systeme Pflanzen anhand von Sensordaten robust identifizieren, noch können sie wissen, welche Pflanzensorte für eine bestimmte Kultur in einem bestimmten Zustand ein harmloses Unkraut ist und welche nicht. Es gibt zwar eine Fülle von KI-Literatur über qualitative räumliche Beziehungskalküle, aber die Begründung einer qualitativen räumlichen Beziehung wie "nah" in Sensordaten und Kontext ist weitgehend unerforscht.
„Die Interpretation von Sensordaten in einer logischen Sprache, die es ermöglicht, live über die Welt, wie sie ist, zu urteilen, ist eine der ewigen großen Herausforderungen der KI“, erklärt Dr. Ansgar Bernardi, stellvertretender Leiter im DFKI-Forschungsbereich Smarte Daten und Wissensdienste.
R4Agri adressiert diese Herausforderung, indem es die Technologiethemen Sensordateninterpretation, Schlussfolgern, Wissensrepräsentation und Datenmanagement in einem Rahmen zusammenbringt. Die Landwirtschaft empfiehlt sich dabei als Anwendungsdomäne, da hier Sensordaten z.B. für den Austausch von Daten zwischen Traktor und Gerät standardisiert vorliegen. Die Ergebnisse könnten auch auf andere Domänen wie z.B. die Werkstoffherstellung mit schwankenden Rohstoffqualitäten, Verunreinigungen und zu berücksichtigenden Sicherheitsvorgaben.
Entsprechend seinem Grundlagenforschungscharakter werden die Ergebnisse von R4Agri zum großen Teil in gemeinsamen Veröffentlichungen in KI-Fachzeitschriften bestehen. Die Anwendungsfälle sollen außerdem als Sprungbrett für Folgeprojekte im Bereich Smart Farming und Agrarrobotik zusammen mit Partnern aus dem Anwendungsbereich dienen, um die Resultate im europäischen Kontext zu definieren.
R4Agri wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und vom Ministère de l'Enseignement supérieur, de la Recherche et de l'Innovation (MESRI) über einen Zeitraum von 3,5 Jahren gefördert. Im Rahmen des Projekts ist der Austausch von Wissenschaftlern zwischen Inria und DFKI für jeweils einen Monat geplant.