Tropische Regenwälder zählen zu den artenreichsten Ökosystemen der Erde. Eingriffe wie Abholzung und Brandrodung bedrohen diesen Artenreichtum. Allein in Brasilien wurden in den vergangenen Jahrzehnten 20 Prozent der Regenwälder im Amazonas-Gebiet vernichtet. „Der Verlust der Biodiversität ist eine drängende Herausforderung unserer Zeit“, sagt Dr. Thiago Gouvêa, gebürtiger Brasilianer und Senior Wissenschaftler im DFKI Niedersachsen, wo er im Forschungsbereich Interaktives Maschinelles Lernen (IML) das Team für computergestützte Nachhaltigkeit und Technologie leitet: „Mit unseren Methoden des Maschinellen Lernens wollen wir Biodiversität besser messbar machen und so zum Schutz des Artenreichtums beitragen.“
„Viele Ressourcen meiner Stiftungsprofessur AAI und des DFKI-Forschungsbereichs IML sind in dieses Projekt eingeflossen. Das hat sich bereits ausgezahlt. Es ist schon jetzt ein sehr großer Erfolg des Teams, unter den ersten sechs Finalisten zu sein, bei mehr als dreihundert teilnehmenden Teams zu Beginn des Wettbewerbs und fünfzehn im Halbfinale. Jetzt heißt es noch einmal Daumen drücken für das Finale.“
Ende Juli wird sich zeigen, ob das am DFKI und der Universität entwickelte KI-System, das die akustische Detektion von Tierstimmen im brasilianischen Regenwald innerhalb kürzester Zeit ermöglichen soll, die gewünschten Ergebnisse zeigt. Dann stehen die Forschenden Dr. Thiago Gouvêa, Hannes Kath, Bengt Lüers, Rida Saghir und Ilira Troshani aus dem niedersächsischen Oldenburg zusammen mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt im Team Brasilien im Finale des Wettbewerbs XPRIZE Rainforest.
XPRIZE Rainforest ist ein Wettbewerb, der von der 1995 gegründeten gemeinnützigen XPRIZE Stiftung ausgelobt wurde. Zu seinen prominenten Unterstützern zählt beispielsweise Harrison Ford, engagierter Naturschützer und bekannter Schauspieler aus Filmen wie Indiana Jones oder Star Wars. Die Challenge läuft über fünf Jahre und verfügt über ein Budget von insgesamt 10 Millionen Dollar, das auf verschiedene Phasen wie Qualifikation, Halbfinale und Finale verteilt ist. In der Endrunde werden vier der sechs antretenden Teams mit Preisen ausgezeichnet, wobei der erste Platz mit 5 Millionen Dollar dotiert ist.
Für das Team Brasilien sagt Simone Dena von der brasilianischen Universität UNICAMP stellvertretend: „Wir haben wir uns darauf geeinigt, das gesamte Preisgeld für die Erforschung der biologischen Vielfalt in den Tropenwäldern, insbesondere im Amazonas und im Atlantik, zu verwenden. Wir warten jetzt aber erst einmal ab, wie hoch der Betrag ist, den wir erhalten werden.“
Im Finale wird ein Teil der Challenge darin bestehen, innerhalb von 24 Stunden Tierstimmen aufzunehmen, ohne dass dabei Menschen den Regenwald betreten dürfen. Die Audiodateien sollen mittels Sensoren gesammelt werden, die sich auf dem Rücken von kleinen, autonom über den bewachsenen Waldboden fahrenden Robotern befinden oder von Drohnen hoch hinauf in einige Baumkronen gebracht werden. „Das ist aber nicht unsere Aufgabe“, sagt Gouvêa. „Wir zählen zu den Bioakustikern. Unsere Arbeit beginnt, wenn wir die Rohdaten aus Brasilien erhalten.“
Striktes Zeitlimit
Dafür gibt es ein striktes Zeitlimit. Innerhalb von 48 Stunden muss aus den gewonnenen Rohdaten ein Report erstellt werden, aus dem hervorgeht, welche Tierarten in welcher Anzahl sich in einem bestimmten Regenwaldabschnitt aufhalten.Wissenschaftler Hannes Kath erklärt: „Wir gehen davon aus, dass wir tausende von Audiodateien erhalten, die zwischen 30 und 60 Sekunden lang sind. Diese alle manuell auszuwerten, würde viel zu lange dauern. Wir haben deshalb ein interaktives KI-System entwickelt, das mit menschlichem Feedback mehrere Schleifen dreht und am Ende genau jene Audiodateien bereitstellt, die für den Report entscheidend sind.“
In einem ersten Schritt werden die verschiedenen Spuren der Audiodateien getrennt. Dazu hat man auf bestehende, große KI-Modelle zurückgegriffen und diese nachtrainiert. Das Ergebnis sind noch mehr Daten, etwa 15-mal so viele. Anschließend kommen verschiedene Verfahren des Maschinellen Lernens zum Einsatz, bis am Ende von jedem Cluster mit ähnlichen Aufnahmen nur noch einige Dateien ausgewertet werden müssen, um die entsprechende Spezies zu bestimmen.
„Wir liefern hier den Prototyp eines interaktiven KI-Systems, das stetig Feedback durch den Menschen, in diesem Fall den Ökologen im Team Brasilien, erhält und daraus schnell lernen muss.“
Seit dem Halbfinale in Singapur habe man die Technik weiterentwickelt und verfeinert, erzählt Gouvêa, der in den Wettbewerb Erfahrungen aus einer früheren Arbeit, erstellt an der OsloMet Universität in Norwegen, einbringt, bei der er sich mit dem Monitoring von Wallauten beschäftigt hat. „Letztlich spielt es keine Rolle, wo unsere Modelle zum Schutz der Artenvielfalt eingesetzt werden“, sagt er: „Sie sollen überall funktionieren. Wichtig ist uns, dass wir lokalen Experten vor Ort die nötigen Tools an die Hand geben, mit denen sie selbst etwas aktiv für den Natur- und Umweltschutz in ihrer Region unternehmen können.“
XPRIZE Rainforest ist ein globaler 5-Jahres-Wettbewerb mit einem Budget von 10 Millionen Dollar, der Innovatoren und Experten aus verschiedenen Disziplinen zusammenbringt - von Naturschützern und indigenen Wissenschaftlern bis hin zu Ingenieuren und Robotikern - und sie herausfordert, neuartige Technologien einzusetzen, um die Überwachung der tropischen Biodiversität zu beschleunigen.